29.10.2009, 00:21
Hallo Dietmar,
Du hattest vor einige Jahren hier mal geschrieben, daß Du Dir physikalisch nicht erklären kannst, warum Lack Kanten wie der Teufel meidet. Entsprechende Zeichnung beigefügt. Danke dafür.
Physikalisch ist das Problem mit der Oberflächenspannung und den Kriecheigenschaften der Flüssigkeiten im Lackaufbau zu erklären. Dies sind einerseits die Lösemittel (hohe Kriecheigenschaften) und Bindemittel (z.B. Harze, Kunstharze). Die Oberfläche des frisch auflackierten Materials versucht aufgrund der Oberflächenkräfte bei harten Kanten praktisch rundherum zu fließen. Stell Dir vor, Du legst ein Seil in einem Zentimeter Abstand von der Wand um eine Ecke und spannst es anschließend. Das Seil wird die Zugkraft gleichmäßig verteilen und an der Kante der Wand am nächsten anliegen. Soweit so gut, in der Oberflächenspannung finden wir noch nicht alle Eigenschaften des Lackauftrags.
Lösemittel haben gegenüber dem Harz, das als Bindemittel dient und sich eher wie Flüssigkeit verhält, die gegenteilige Funktion: eine kriechende Eigenschaft, um das Ganze zunächst flüssig zu halten und zu verteilen. Ähnlich wie Benzin oder andere leichtflüchtige benetzende Flüssigkeiten, verteilen solche Flüssigkeiten sich freiwillig über der Oberfläche (Gegenkraft zur Oberflächenspannung, die andere Flüssigkeiten zusammenhalten versucht). Der Film den eine solche Flüssigkeit beim Kriechen bilden, wird jedoch schnell extrem dünn. Durch Kriechen und Verdunsten dann rasch so dünn, daß die Schichtdicke wenige Einheiten bis knapp unter eine Länge der Wellenlänge des Lichtes beträgt. Deswegen bilden solche kriechenden Öl- oder Benzinfilme auf reflektierenden Oberflächen oft ähnliche Regenbogenfarben wie Seifenblasen auf der Oberfläche. Diese Dicke des Flüssigkeitsfilms ist nun bereits zu dünn, den Festkörperanteil des Lackes selbst, nämlich die groben Farbpigmente selbst zu transportieren. Diese Farbpigmente sind in der Regel mikroskopisch groß, größer als eine Lichtwellenlänge (unter dem Mikroskop erscheint Tinte wie große Steine, die Partikel eines Metalliclackes kann man schon unter der Lupe erkennen) und damit bald größer als die Dünnschicht des Kriechfilms. Daher fließen Farbpigmente mit dickeren Flüssigkeitschichten weg und zwar solange bis die Schichtdicke des Lösemittels wegen der Kriecheigenschaften und gleichzeitigen Verdunstung die Größe der Farbpigmente unterschreitet. Ab diesem Punkt bleiben die Farbpigmente einfach liegen, wo sie sind und werden im Idealfall von einem aushärtenden Träger festgepackt. Bis das Harz völlig durchgetrocknet ist, verschieben sich die Farbpartikel nur noch geringfügig von der Stelle durch die Zugkräfte im aushärtenden Harz. Aber auch hier weg von der Kante. Deswegen beobachtet man nach einiger Trockenzeit, daß die Kante obwohl anfänglich lackiert, nun doch scheinbar ohne Farbauftrag zurückbleibt. Es bildet sich eine Wulst rechts und links von der Kante, deren Abstand zu Kante an der Kante am geringsten ist (aufgrund der Oberflächenspannung des zurückbleibenden Harzes beim Trocknen).
Dies ist der eigentliche Trocknungsvorgang des Lackes.
Die Lösemittel und der Lackträger (Kunstharz) ziehen also als Flüssigkeit und die Pigmente von harten Kanten weg, solange alles noch nass ist. Weswegen man öfter auftragen muss um die Kante zu runden, oder statistisch "genug" zufällig vorher liegen gebliebene Pigmente auf der Kante mit der Zeit aufbaut (man muss hier also öfter überlackieren).
Daher macht es Sinn die Kante vorher zu runden. Sonst rundet sie sich durch den häufiger notwendigen Lackauftrag ohnehin.
Im Grunde arbeiten zwei unterschiedliche Flüssigkeiten gegeneinander und miteinander die Farbpigmente zu transportieren und gleichzeitig auf der Stelle zu halten. Ausschlaggebend ist die Trockenzeit des Lackes. Nichts aber ist häßlicher als ein schnell trocknender Lackaufbau, der keine Fehler verzeiht und eine Orangenhaut hinterläßt, weil das Lösemittel zu schnell verdunstet. Verdunstet es zu langsam (hoher Lösemittelanteil) bleiben eben unlackierte Kanten.
Man kann Kanten mit dem Pinsel oder Pistole und niedrigem Lösemittelanteil vorab lackieren und dann mit dem weiteren Lack übersprühen (in der Hoffnung, daß der Lösemittelanteil, die festgebackenen Pigmente nicht wieder aufschwemmt). Das im Griff zu haben alles ist nun die Handwerkskunst des Lackierers, die zweifellos zu honorieren wäre.
Viele Grüße
Scheichfahrt
Edit: Dreckfuhler...
Du hattest vor einige Jahren hier mal geschrieben, daß Du Dir physikalisch nicht erklären kannst, warum Lack Kanten wie der Teufel meidet. Entsprechende Zeichnung beigefügt. Danke dafür.
Physikalisch ist das Problem mit der Oberflächenspannung und den Kriecheigenschaften der Flüssigkeiten im Lackaufbau zu erklären. Dies sind einerseits die Lösemittel (hohe Kriecheigenschaften) und Bindemittel (z.B. Harze, Kunstharze). Die Oberfläche des frisch auflackierten Materials versucht aufgrund der Oberflächenkräfte bei harten Kanten praktisch rundherum zu fließen. Stell Dir vor, Du legst ein Seil in einem Zentimeter Abstand von der Wand um eine Ecke und spannst es anschließend. Das Seil wird die Zugkraft gleichmäßig verteilen und an der Kante der Wand am nächsten anliegen. Soweit so gut, in der Oberflächenspannung finden wir noch nicht alle Eigenschaften des Lackauftrags.
Lösemittel haben gegenüber dem Harz, das als Bindemittel dient und sich eher wie Flüssigkeit verhält, die gegenteilige Funktion: eine kriechende Eigenschaft, um das Ganze zunächst flüssig zu halten und zu verteilen. Ähnlich wie Benzin oder andere leichtflüchtige benetzende Flüssigkeiten, verteilen solche Flüssigkeiten sich freiwillig über der Oberfläche (Gegenkraft zur Oberflächenspannung, die andere Flüssigkeiten zusammenhalten versucht). Der Film den eine solche Flüssigkeit beim Kriechen bilden, wird jedoch schnell extrem dünn. Durch Kriechen und Verdunsten dann rasch so dünn, daß die Schichtdicke wenige Einheiten bis knapp unter eine Länge der Wellenlänge des Lichtes beträgt. Deswegen bilden solche kriechenden Öl- oder Benzinfilme auf reflektierenden Oberflächen oft ähnliche Regenbogenfarben wie Seifenblasen auf der Oberfläche. Diese Dicke des Flüssigkeitsfilms ist nun bereits zu dünn, den Festkörperanteil des Lackes selbst, nämlich die groben Farbpigmente selbst zu transportieren. Diese Farbpigmente sind in der Regel mikroskopisch groß, größer als eine Lichtwellenlänge (unter dem Mikroskop erscheint Tinte wie große Steine, die Partikel eines Metalliclackes kann man schon unter der Lupe erkennen) und damit bald größer als die Dünnschicht des Kriechfilms. Daher fließen Farbpigmente mit dickeren Flüssigkeitschichten weg und zwar solange bis die Schichtdicke des Lösemittels wegen der Kriecheigenschaften und gleichzeitigen Verdunstung die Größe der Farbpigmente unterschreitet. Ab diesem Punkt bleiben die Farbpigmente einfach liegen, wo sie sind und werden im Idealfall von einem aushärtenden Träger festgepackt. Bis das Harz völlig durchgetrocknet ist, verschieben sich die Farbpartikel nur noch geringfügig von der Stelle durch die Zugkräfte im aushärtenden Harz. Aber auch hier weg von der Kante. Deswegen beobachtet man nach einiger Trockenzeit, daß die Kante obwohl anfänglich lackiert, nun doch scheinbar ohne Farbauftrag zurückbleibt. Es bildet sich eine Wulst rechts und links von der Kante, deren Abstand zu Kante an der Kante am geringsten ist (aufgrund der Oberflächenspannung des zurückbleibenden Harzes beim Trocknen).
Dies ist der eigentliche Trocknungsvorgang des Lackes.
Die Lösemittel und der Lackträger (Kunstharz) ziehen also als Flüssigkeit und die Pigmente von harten Kanten weg, solange alles noch nass ist. Weswegen man öfter auftragen muss um die Kante zu runden, oder statistisch "genug" zufällig vorher liegen gebliebene Pigmente auf der Kante mit der Zeit aufbaut (man muss hier also öfter überlackieren).
Daher macht es Sinn die Kante vorher zu runden. Sonst rundet sie sich durch den häufiger notwendigen Lackauftrag ohnehin.
Im Grunde arbeiten zwei unterschiedliche Flüssigkeiten gegeneinander und miteinander die Farbpigmente zu transportieren und gleichzeitig auf der Stelle zu halten. Ausschlaggebend ist die Trockenzeit des Lackes. Nichts aber ist häßlicher als ein schnell trocknender Lackaufbau, der keine Fehler verzeiht und eine Orangenhaut hinterläßt, weil das Lösemittel zu schnell verdunstet. Verdunstet es zu langsam (hoher Lösemittelanteil) bleiben eben unlackierte Kanten.
Man kann Kanten mit dem Pinsel oder Pistole und niedrigem Lösemittelanteil vorab lackieren und dann mit dem weiteren Lack übersprühen (in der Hoffnung, daß der Lösemittelanteil, die festgebackenen Pigmente nicht wieder aufschwemmt). Das im Griff zu haben alles ist nun die Handwerkskunst des Lackierers, die zweifellos zu honorieren wäre.
Viele Grüße
Scheichfahrt
Edit: Dreckfuhler...